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Unser Schweigen kotzt uns an!

*Selbstverständnis/Manifest*

Ob Palästina, ob Sudan, Kongo, Jemen, Bangladesch oder auch die polnisch-belarussischen Urwälder und die ausgelagerten Grenzen Europas in Lybien, Ägypten und Tunesien – von überall her kommen furchtbare Nachrichten von unzähligen Verbrechen und unvorstellbarem Leid. Deutschland, wahrlich eine Bilderbuchnationalmacht des 21. Jahrhunderts, ist in all diese Gräueltaten wirtschaftlich, militärisch und politisch tief involviert.

Damit wollen wir uns, aus unserem Verständnis als internationalistische Anarchist*innen heraus, in dieser Gruppe auseinandersetzen, uns solidarisieren und aktiv werden.

Besonderer Fokus muss dabei auf den fortlaufenden Genozid in Gaza sowie auf die andauernde Unterdrückung der Palästinenser*innen im Westjordanland gerichtet werden. Nicht nur weil Tod, Misshandlung und Zerstörung unvorstellbare Ausmaße angenommen haben, sondern auch weil der Deutsche Staat hierbei eine zentrale Rolle spielt. Deutschland unterstützt bedingungslos den Staat Israel und dessen rechtsradikale Regierung Netanjahus und liefert eifrig Waffen für all deren menschenverachtende Taten. Weite Teile der deutschen Bevölkerung machen sich dabei die Interessen, Deutung und Ziele Deutschlands zu eigen. Zudem wird kaum eine andere Protestbewegung so sehr kriminalisiert und geächtet wie die palästinasolidarische: Menschen verlieren ihre Jobs, Fördermittel und migrantisierte Menschen können nun selbst für einen Like im Internet abgeschoben werden. Schon bei der leichtesten Abweichung von der vom Staat als zulässig definierten Meinung zeigt der Staat sein autoritäres Gesicht. Schließlich ist für die deutschen Medien und Staatsorgane jede*r Antisemit*in, der Palästinenser*innen nicht egal sind. Jedes, das auch nur im Kleinsten den real existierenden Zionismus und seine Folgen sowie die rechtsradikalen Siederler*innen kritisiert, erfährt Anfeindungen und Repression. Dabei geht es nicht nur um die Gewalt, die von der Hand des Staates durch Polizei und Gesetze ausgeht, sondern auch um extrem verkürzte und hegemonielle Diskurse und bewusst einseitige Berichterstattung.

In Bezug auf das Leid in Gaza schweigen nur die deutschen Linken lauter als die Deutschen Medien, insbesondere (Leipziger) Anarchist*innen. Und dabei meinen wir gar nicht die nach eigener Definition antideutschen „Anarchist*innen“, denn die sind leider durchaus laut (auch wenn diese mal wirklich hinterfragen sollten, ob diese beiden Weltanschauungen in irgendeiner Art vereinbar sind). Auf deren nationalistischen Nonsens wollen wir hier gar nicht weiter eingehen, sondern uns auf den Rest der „Szene“ beziehen. Wo seid ihr? Wo wart ihr in den letzten 10 Monaten? Von den meisten linken Gruppen kam genau *nichts* zum Genozid in Gaza – made in Germany. Aber ganz ehrlich, wir haben genauso lange nichts gemacht: Immerhin haben wir auch 10 Monate gebraucht um von individuellen Solidaritätsbekundungen, Social Media Posts und vielleicht einmal einer Demo und dem Dulden von „antideutschen“ Blockierer*innen in unseren Strukturen an diesen Punkt zu kommen. Während in quasi allen anderen Ländern der Welt die Linke Druck auf Regierungen aufgebaut, Schiffe für Waffenlieferungen gestoppt, Autobahnen blockiert und praktische Solidarität mit Palästinenser*innen gezeigt hat, waren wir – still. Warum? Darauf angesprochen versuchen viele sich rauszureden: Das sei ja alles sehr komplex, mensch habe gerade keine Zeit sich damit zu beschäftigen, wir könnten das eh nicht lösen, aber die deutsche Schuld… Die Angst ist groß etwas „Falsches“ zu sagen, als Antisemit*in betitelt zu werden, aus Gruppen ausgeschlossen zu werden, gemeinsame politische Arbeit zu gefährden.  

Doch auch wenn „Antideutsche“ laut sind (schließlich haben sie die Unterstützung der gesamten Politik von AfD bis PdL) dürfen wir unsere politische Integrität und unsere Solidarität nicht davon abhängig machen, was sie akzeptieren. Lasst uns wieder kämpfen – für Solidarität und gegen jeden Staat, jede Unterdrückung und jede Authorität. Gemeinsam. Über Ländergrenzen hinweg. Internationalistisch und antinatonal. Können wir endlich zeigen, dass wir nicht in der gleichen genozidialen Kontinuität stehen, wie der Staat in dem wir leben und so das Vertrauen unserer internationalen Genoss*innen wiedererlangen? Genau hierfür fordern wir alle Personen in Organisationen sozialer Kämpfe und Projekten auf: Bezieht Stellung! Haltet der antideutschen (Schein-)Hegemonie in den Strukturen dieser Stadt etwas entgegen! Geht diese Prozesse ein!

 

Wer sind wir?

Wir sind eine Gruppe aus internationalistischen, queerfeministischen Anarchist*innen. Wir treten ein für die Selbstbestimmung und Selbstverwaltung aller Menschen, unabhängig aller Herrschaftssysteme, Grenzen und Nationen,patriarchaler Unterdrückung, Apartheid und Ausbeutung. Gerade im Herzen der Bestie muss der Internationalismus wider eine bedeutende Rolle einnehmen, insbesondere innerhalb der Linken und der libertären Sozialist*innen. Keine Regierung Deutschlands wird an der neokolonialen Ausbeutung der Länder des globalen Südens freiwillig etwas ändern, viel mehr gilt es, auch hier vor Ort, Gegenmacht aufzubauen. Gegen die Logik von Nationalstaaten und deren Interessen, gegen die Macht von Grenzen, gegen das nationale Wir! Für einen praktischen Internationalismus, für direkte und grenzüberschreitende Solidarität mit unseren Klassengeschwistern überall auf der Welt!

Derzeit sind wir eine Gruppe von ausschließlich queeren, mehrheitlich trans* Personen. Momentan sind alle von uns weiß und die meisten haben keinen Migrationshintergrund. Wir sind daher von vielen Unterdrückuns- und Diskriminierungsmechanismen mit denen wir uns auseinandersetzen nicht unmittelbar betroffen. Insgesamt sind unsere Kämpfe miteinander verknüpft und können nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Das heißt aber dennoch, dass wir von unserer deutschen Sozialisation und den damit einhergehenden Privilegien geprägt sind und uns dessen kritisch bewusst sein müssen. Wichtig ist uns dabei, uns nicht als „white saviours“ Themen und Kämpfe anzueignen und Betroffenen die „einzig richtige“ Lösung zu präsentieren, sondern mit den Menschen, die diese Kämpfe führen im Austausch zu sein, Lernräume diskriminierungssensibel zu gestalten und Kompliz*innenschaften mit Fokus auf gemeinsames ‚desire‘ (Sehnsüchte) und ‚grief‘ (Schmerz) einzugehen.

 

Was wollen wir?

Wir haben uns als Gruppe <<Internationalist Anarchists Leipzig>> zusammengefunden, um uns mit einem explizit internationalistischen und antiautoritären, anarchistischen und queerfeministischen Bezug zu organisieren. Dabei wollen wir uns als solidarische Bündnispartner*innen den bereits bestehenden internationalistischen und betroffenenorientierten Gruppen anbieten, wobei natürlich unsere Analyse in (Teil-)Aspekten abweichen kann. Dies soll aber eine Zusammenarbeit und eine breite Solidarisierung nicht verhindern. Zudem wollen wir bestehende lokale und internationalistische Kämpfe sowohl öffentlichkeitswirksam als auch praktisch unterstützen. In der (öffentlichen) Auseinandersetzung mit verschiedensten Themen wollen wir selbst lernen, unsere analytische Sicht auf die verschiedenen Kontexte schärfen und niedrigschwellige Informationen auf unserer Website zur Verfügung stellen. Dazu wollen wir die Gruppe perspektivisch für Interessierte und internationalistische Menschen öffnen, um eine Plattform für Anknüpfungspunkte, Vernetzungen und Austausch auf einer antiauthoritären Grundlage zu bieten. 

 

Für Feedback, Fragen oder Anderes könnt ihr uns gerne eine Mail schreiben: internationalist_anarchists_le[ät]riseup[dot]net

Auf unserer Website findet ihr andere (anarchistische), palästinasolidarische Gruppen: https://internationalistanarchistsle.noblogs.org/english/shout-out/